Die Stimmung auf der Immobilienmesse Mipim in Cannes war so gut wie das Wetter an drei von vier Messetagen. Zurzeit deutet nichts darauf hin, dass es auf dem Immobilienmarkt abwärts gehen könnte. Gefahren sah nur der Veranstalter und stockte die Sicherheitsmaßnahmen rund um das Palais des Festivals im Vergleich zu Vorjahr noch einmal auf.

In Cannes fühlten sich im Jahr 2018 alle sicher. Ein Hauch von Sorglosigkeit war auf den Decks der Yachten und den Terrassen zu spüren. Stefan Mächler, Chief Investment Officer von Swiss Life, schüttelt darüber nachdenklich den Kopf: „Es ist schon erstaunlich, wie wenig Reaktionen es auf alles gab, was im vergangenen Jahr in der Welt passiert ist“, sagt er. „Seit 2009 geht es an den Börsen wie am Immobilienmarkt immer nur nach oben – und das bei extrem niedriger Volatilität. Den Investoren ist oft gar nicht mehr bewusst, dass eine Investition auch eine Risikokomponente hat. Sie sind inzwischen daran gewöhnt, dass es gutgeht.“

Der einzige, der sich sorgte, war offenbar die Reed Midem. Der Veranstalter der wichtigsten Immobilienmesse weltweit betrachtete das Messegelände anscheinend als heiße Gefahrenzone, die es mit allen Mitteln zu schützen galt: Mit Sprengstoffspürhunden, Metalldetektoren, Polizeipferden, Taschenkontrollen und paramilitärischen Patrouillen im Kampfanzug, die halbautomatischen Gewehre einsatzbereit im Arm. Doch nichts Störendes verirrte sich in die Hallen und Pavillons am Mittelmeer. Keine Bomben und keine Bösewichte schafften es über die bestens gesicherte Schwelle. Und auch keine sonstigen Irritationen, beispielsweise wegen des Wahlsiegs italienischer Europafeinde, einem möglichen starken Zinsanstieg oder einem drohenden Ende der stabil positiven globalen Konjunktur.

Diese Beobachtung teilt Rob Wilkinson, Europachef des 70 Mrd. USD schweren globalen Immobilienmanagers AEW. „Es gab zuletzt mehrere geopolitische Ereignisse mit theoretisch reichlich Schockpotenzial fürs System, die aber keinerlei tatsächliche Auswirkung auf die Kapital- und Investmentmärkte hatten. Es kam weder zu Preisrückgängen noch zu einer Veränderung der Risikoprofile. Nehmen Sie Großbritannien – hier haben sich die Immobilienpreise bereits im Laufe des Jahres 2017 vom Brexit-Schock erholt.“ Eine psychologische Erklärung für dieses Phänomen hat Wilkinson auch parat. „Man scheint inzwischen davon überzeugt zu sein, dass die Märkte allen Ereignissen, die sie nicht unmittelbar betreffen, also zum Beispiel einem starken Zinsanstieg, widerstehen. Der Anlagedruck ist mächtiger als alles, was auf der Welt passiert. Selbst wenn ein paar Investoren beschließen sollten auszusteigen, werden andere nachrücken, die in Europa noch unterallokiert sind.“ Als Beispiel nennt Wilkinson japanische Institutionelle, die die letzten Jahre damit verbracht hätten, den Markt zu sondieren. „Die fangen jetzt endlich auch an zu kaufen.“

In Deutschland investierten verstärkt nicht nur Japaner, sondern auch Anleger aus China, Südkorea und Singapur. Im vergangenen Jahr stieg das Transaktionsvolumen von Investoren aus dem Wirtschaftsraum Asien-Pazifik auf 6 Mrd. Euro, erzählt Matthias Leube, Deutschlandchef von Colliers International. Das ist fast fünfmal so viel wie 2016. Vor allem Büroimmobilien seien für asiatische Pensionskassen und Versicherungen interessant, da sie aufgrund der niedrigen Leerstände hierzulande ein bedeutendes Mietpreiswachstum erkennen würden. „Positiv, aber nicht euphorisch“ empfand Leube die Stimmung auf der Mipim. „Jeder weiß, es könnte bald zu Ende sein. Es könnte aber auch noch Jahre so weitergehen.“ Ins gleiche Horn stößt Larry Young, Leiter der International Investment Group bei BNP Paribas Real Estate: „Vorerst wird es keine dramatischen Veränderungen geben.“ Es gebe mehr große Vermögensverwalter, die nach Anlagemöglichkeiten suchten, als solche, die Kasse machen wollen.

Jemand, der in schlaflosen Nächten über eine seine Geschäfte bedrohende Zinswende und die Gefahren einer Immobilienblase nachdenkt, klingt anders. Die Dauerfrage vergangener Jahre: „Wie lange geht das noch so weiter?“ ist auf den Sonnenterrassen und den Strandrestaurants einfach der ruhigen Gewissheit gewichen, dass es irgendwann so weit sein wird – aber jetzt eben noch nicht.

Das Urteil von Martin Towns, Head of Capital Solutions bei M&G Real Estate, zur derzeitigen Lage lautet daher: „Jeder Marktteilnehmer ist sich bewusst, an welchem Punkt wir uns im Investmentzyklus befinden, aber es zeigt sich bisher nicht in den Kapitalflüssen.“ Towns bestätigt ein ungebrochen starkes Interesse asiatischer Anleger an den europäischen Märkten. „Ein kleines bisschen zusätzliche Renditekompression in Europa ist denkbar“, ergänzt Nic Fox, Leiter Mitteleuropa beim paneuropäischen Immobilieninvestmentmanager Europa Capital, der über die Rockefeller Group zum japanischen Mitsubishi-Konzern gehört.

Alistair Calvert, Chef des Logistikimmobilienspezialisten Gramercy Europe, hat die oberen Knöpfe seines weißen Hemds lässig geöffnet. An diesem Tag ist es warm und sonnig in Cannes. Der Manager wirkt gelöst. Er sei es aber nicht, sagt er. Nein, betont Calvert, relaxt sei er ob der Lage an den Märkten nicht, dazu sei der Wettbewerb viel zu hart. Dennoch will er weiter Logistikobjekte in Deutschland für seine Fonds kaufen. Denn hier seien die Renditen noch attraktiver als in Großbritannien. Anzeichen für einen signifikanten Wandel sehe er derzeit nicht, sagt der Brite. „Die kommenden zwölf Monate sind wir auf der sicheren Seite“, gibt er sich dann doch noch entspannt. Trotz aller geopolitischer Unwägbarkeiten.

Selbst die Italiener bleiben gelassen. Unsichere Verhältnisse nach der Wahl? „Das ist Business as usual“, antwortet Pierre Marin, Italien-Chef bei JLL. Das sei Teil des üblichen Spiels, davon würden sich Marktteilnehmer und Investoren in Mailand und Rom längst nicht mehr verunsichern lassen. „Wir nennen das Instabilität im Kontext von Stabilität“, sagt Marin und grinst. Es wird oft gelacht im Zelt von JLL direkt am Strand. Auch Marins deutscher JLL-Kollege Timo Tschammler blickt optimistisch in die Zukunft. Die ersten zehn Wochen des laufenden Jahres sind prima angelaufen, erzählt er. Und ein möglicher Zinsanstieg werde sich wohl in kleinen Schritten vollziehen. „Das verschafft uns Zeit, angemessen darauf zu reagieren“, denkt Tschammler.

Im Hafen von Cannes möchte CBRE-Chef Alexander von Erdély erst gar nicht von einer Party und dem drohenden Ende sprechen. „Ich mag den Begriff Party nicht“, betont er. „Hier geht es um harte Arbeit.“ Also bemüht er die Analogie des Segelns. Ein guter Wind allein reiche nicht, sagt von Erdély. Damit man vorankomme, brauche es ein klares Ziel und eine gute Mannschaft, die das Segel richtig setzen kann. Und wenn der Wind sich dreht, „dann kann man doch trotzdem weitersegeln“, meint der Manager. „Ich sehe am Horizont keine Anzeichen dafür, dass ein Sturm kommt.“ Deutschlands Wirtschaft sei robust und die Eigenkapitalquote bei den Investoren hoch.

Wenn die Dinge so lange so gut gehen, bleibt das nicht ohne Folgen für die Art und Weise, wie die Immobilienprofis die Welt sehen. Bernhard Berg, Chef der Swiss-Life-Tochter Corpus Sireo, spricht von einer „jungen Generation von Investorenkollegen, die noch nie eine Krise erlebt hat“, und ist damit nicht allein. Im Haus des Projektententwicklers Becken tummelten sich mittlerweile „sehr viele Mitarbeiter, die mich absolut verständnislos anschauen, wenn ich davon spreche, dass es am Immobilienmarkt auch einmal nach unten gehen kann“, erzählt Becken-Geschäftsführer Stefan Spilker auf der sonnigen Terrasse des Hamburg-Stands. Er könne es ihnen auch nicht verübeln, denn „im Moment deutet ja auch wirklich nichts darauf hin“. Mit exogenen Schocks müsse man zwar immer rechnen, „aber es kann auch durchaus sein, dass überhaupt nichts passiert“.

Sabine Barthauer, Vorstandsmitglied der Deutschen Hypothekenbank, drückt es so aus: „Der Zyklus dauert schon sehr lange. Wir befinden uns in einer anhaltenden Seitwärtsbewegung, ich spreche gerne von einem Hochplateau. Doch die Investoren gucken mittlerweile schon sehr genau hin.“ Sie sieht zaghafte Zeichen einer Veränderung in der Zinslandschaft: „Das Zinsniveau ist historisch niedrig, das wird höchstwahrscheinlich nicht noch weitere fünf Jahre so bleiben. Das Risiko von Zinserhöhungen ist gestiegen, am langen Ende haben wir bereits in geringem Umfang einen Anstieg gesehen.“ Swiss-Life-CIO Mächler hingegen findet zwar die geballte Sorglosigkeit der Investoren verwunderlich, geht aber nicht davon aus, dass sich die Dinge an der Zinsfront auf Sicht grundlegend ändern werden. „Seit zehn Jahren befinden wir uns in einer Phase der finanziellen Repression, die üblichen zyklischen Schwankungen am Aktien- wie am Immobilienmarkt wurden dadurch praktisch eliminiert. Phasen finanzieller Repression dauern meistens um die 20 Jahre. In den kommenden zehn Jahren wird sich also kaum viel ändern.“

Und so fiel es selbst der Liga der Berufspessimisten, genannt Researcher, auf der Mipim 2018 ziemlich schwer, ihrem Ruf gerecht zu werden. „In den kommenden Jahren erwarten wir auf dem europäischen Immobilienmarkt Stabilität und geringe Volatilität“, sagt Colliers-Chefvolkswirt Walter Boettcher und entwirft eine „neue Normalität“. Soll heißen: Verschiedene grundsätzliche und dauerhafte Faktoren spielen dabei zusammen, die Renditen am Anleihemarkt auf einem moderaten Niveau und die Nachfrage nach Immobilien weiterhin stabil zu halten. Boettcher zählt sie auf: „Anlagedruck der Pensionssysteme weltweit alternder Bevölkerungen, Niedrigzinspolitik der wichtigsten Notenbanken der Welt, Knappheit bei krisensicheren Anlagegütern und Vermögensakkumulation bei den Reichen.“

Quelle: http://www.immobilien-zeitung.de/145633/sorgenfrei-in-cannes?utm_source=newsletter&utm_medium=e-mail&utm_campaign=Wochennewsletter+kw12_2018