Shopping für Eingeweihte
Wer in Berlin nach innovativen oder ausgefallenen Shops sucht, muss die etablierten Einkaufsmeilen und Shoppingcenter verlassen. Abseits der 1A-Lagen behaupten sich überraschende Konzepte jenseits des Mainstream, oft verborgen hinter unauffälligen, ja brüchigen Fassaden.
Kurfürstendamm und Tauentzien, Alexanderplatz und Friedrichstrase, Schlosstrase und Hackescher Markt, nicht zu vergessen die bald 60 Shoppingcenter – das ist nicht alles, was Berlin an Shopping-Locations zu bieten hat. Ein ganz spezielles Flair bietet die Independent-Szene abseits der grosen Lauf-Lagen. Zu einer auch international beachteten Adresse hat sich eine kleine, leicht zu ubersehende Seitenstrase jenseits des Flagship-Gurtels gemausert. In der Mulackstrase, einst Herzstuck des Scheunenviertels und „Zille sein Milljoh“, nutzen modebewusste Berliner ebenso wie Besucher aus Munchen, Hamburg, Paris und New York das inzwischen illustre Independent-Shop-Portfolio fur gezieltes Design-Shopping. Laufkundschaft verirrt sich kaum hierher, es sind Einkaufsadressen fur Eingeweihte. Angestosen hat diesen Hype um die Mulackstrase Yasmine Gauster. 2003 eroffnete die Geschaftsfrau hier den Bless Shop, ein Geschaft fur Entwurfe der Designerinnen Ines Karg und Desiree Heiss. Das international erfolgreiche Label bewegt sich an der Schnittstelle von Mode und Kunst, es geht um Kleidung, aber auch um Design und Architektur, Nutzliches und Abstraktes. Wie die Entwurfe ist auch der Bless Shop stets im Wandel und sieht oft gar nicht wie ein Laden aus. Vor allem ist er eine Institution und Treffpunkt fur eine Bless-Community. 2004 eroffnete Yasmine Gauster nur ein paar Hauser weiter den Laden A.P.C. mit den Kollektionen des gleichnamigen franzosischen Kultlabels und lockte zwischendurch mit temporaren Ladenkonzepten weiteres Publikum an. Wieder ein paar Hauser weiter befindet sich der Laden von Leyla Piedayesh und ihrem Stricklabel Lala Berlin. Der Laden wurde eingerichtet von Ramon Toshiro Merker, Mitbegrunder des Designburos llot llov – und einer von vier Betreibern des Fourstore, eines seit 2007 in der Mulackstrase ansassigen Concept-Ladens fur Designermode und Wohnaccessoires. Die Einrichtung ist ebenso wie die prasentierte Mode elegant, puristisch, klar und trotzdem lassig. Vertreten sind Labels wie Greyhound Bangkok, A Substitute For Love, Nia, Jennifer Ann Gilpin und Bo van Melskens. Die Raume sind hell, gediegen und zuruckhaltend, es dominieren kubische Formen und Spiegelelemente, Weis und Beige, Licht und Luft; eine Panorama-Scheibe gibt den Blick in den begrunten Innenhof frei. Wechselnde Installationen erganzen das Shopping-Erlebnis.
Casting-Allee
Um mehr als reines Shopping geht es auch nordlich der Mulackstrase. Jenseits der Torstrase – die als „Profitgrenze“ gilt und von Touristen nicht uberschritten wird – fuhrt die Kastanienallee von Berlin-Mitte auf den Prenzlauer Berg. Diese Strase nennen die Berliner nicht von ungefahr „Casting-Allee“. In den Laden hier darf die Mode auf der Stange hangen, aber keinesfalls von der Stange kommen. Standardware ist auf dem Fruhstucks- und Milchkaffee-Boulevard der Hippen und Kreativen nicht gefragt. Dem tragt seit etwa zehn Jahren der Temporary Showroom an der Ecke Kastanienallee/Schwedter Strase Rechnung. Zwei bis sechs Monate lang konnen Modedesigner hier ihre Arbeiten in Galerie-Atmoshare prasentieren, die Raume werden jeweils individuell gestaltet. Betreiber Martin Premuži: „Grundsatzlich ist unser Raum ein Store, in dem man die Labels kaufen kann. Zweimal im Jahr, jeweils zur Fashion Week, verwandeln wir uns allerdings in einen Showroom und prasentieren nationale und internationale Labels.“
Das Gebaude sieht aus, als hatte es eine Renovierung dringend notig, der Rollladen im Eingang hangt beangstigend schief. Statt Hochglanz-Interieur gibt es Purismus und Authentizitat: dunkler Betonfusboden, weis gekalkte Wande, Kleiderstangen mit Mode, die hochwertig, individuell und avantgardistisch ist – der Temporary Showroom versteht sich als Labelscout. Aus der Zusammenarbeit mit dem Label ADD ist inzwischen ein eigener Store geworden. Schrag gegenuber des Temporary Showroom betreiben Martin Premužić und Ilka Brand seit April dieses Jahres das erste ADDFlagship, die Marke firmiert seitdem offiziell unter A.D.Deertz. Eine modular aufgebaute, mobile Wand im Verkaufsraum passt die Flache an die Grose der aktuellen Kollektion an und schafft gleichzeitig auf der anderen Seite Raum fur Lesungen, Ausstellungen und Feiern.
Kauf dich glücklich
Raum fur unterschiedliche Dinge und Aktivitaten haben auch Christoph Munier und Andrea Dahmen geschaffen mit Kauf Dich Glücklich. Offiziell ist der 2002 eroffnete Laden in der Oderberger Strase, einer Seitenstrase der Kastanienallee, ein gastronomisches Objekt, ein Cafe mit Waffeln und Eis auf der Karte. Wer jedoch Gefallen findet an einem Accessoire oder einem Mobelstuck, kann es auch kaufen, denn ursprunglich war Kauf Dich Glucklich als Secondhand-Mobelladen mit kleiner Eisdiele geplant. Ihre Freude an Design und ausgefallenen Stucken leben die beiden Betreiber inzwischen auch direkt an der Kastanienallee aus mit Glucklich am Park, gelegen am idyllisch grunen Weinbergspark. Im Erdgeschoss gibt es die obligatorischen Waffeln, und im Hochparterre Mode fur Frauen und Manner mit Marken wie Sessun, Numph, Minimum, Modstroem, Rules by Mary, Vagabond und KMB.